Page 8 - Toluna April Austria_Neat
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Gaby schloß ihre Augen. „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht
                                     nehmen“, sagte sie. „Die Pillen ...“
                „Sssscht“, flüsterte Anna wieder. „Schlaf jetzt. Es ist
                                                                    vorbei.“

           Regelmäßig tropfte die rote Flüssigkeit in etwas, das wie
          ein Trichter aussah und an einem Schlauch befestigt war.
           Der Schlauch wand sich hinunter und steckte in einer Art

                     Ventil, das seinerseits mit Leukoplast an Gabys
            Handgelenk geklebt war. Zum Glück war die Nadel, die
          ihre Haut durchbohrte, nicht zu sehen, dachte Anna. Zum
                                                                     Glück.
           Gaby atmete ruhig und tief; sie schlief wieder. Und doch

          waren diese Atemzüge so langsam, so unregelmäßig. Es
            beunruhigte Anna. Sie beobachtete, wie sich die Decke
           über Gabys festen Brüsten spannte, verharrte, und dann

                  nach diesem fast schmerzhaft klingenden Seufzen
               zusammenfiel. Es gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht.
             Der Radiowecker neben der Micky Maus-Lampe zeigte
            21:45. Bald würde sie die nächste Flasche an den Tropf
           hängen müssen (zum Glück die letzte), so wie es ihr der

        Arzt gezeigt hatte. Genau wie man es in der Klinik fast eine
          Woche lang gemacht hatte, bis Anna die Geduld verloren
         und das Kind nach Hause gebracht hatte, die Proteste der

                  Ärzte und ihres Mannes Carl, der ohnehin nur das
               nachplapperte, was ein wenig wissenschaftlich klang,
                                                      einfach ignorierend.
         Die Tür wurde vorsichtig geöffnet, und Carl trat ein. Er trug
          einen riesigen Strauß roter Rosen in der rechten Hand. In

        der linken hielt er seinen Bloody Mary; einen von mehreren
                    Dutzend an diesem Abend. Bloody Mary-Familie.
        „Wer war es diesmal?“ fragte Anna und beobachtete weiter

                       das Heben und Senken von Gabys Brustkorb.
                „Es war ... Moment.“ Carl schaute sich verlegen um,
            klemmte den Strauß unter die Achsel und stellte seinen
                Bloody Mary auf Gabys Schreibtisch. Etwas von der
                blaßroten Flüssigkeit schwappte über den Rand des

                    Glases und tropfte auf die Schulbücher, die nach
        irgendeinem geheimen Schema siebzehnjähriger Mädchen
                                   auf dem Schreibtisch verteilt waren.

           „Verdammt, ... hier. Es waren zwei junge Leute.“ Er hielt
          die Karte auf Armeslänge von sich weg und wankte sanft
                 hin und her. Das Bloody Mary-Schiff auf hoher See.
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