Page 7 - Toluna April Austria_Neat
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Mondkind Teil 1

                                        Die kleine Micky Maus-Lampe auf dem Nachtkästchen warf
                                        einen milden, ockerfarbenen Schein auf das blasse Gesicht

                                        des schlafenden Mädchens. Die leichte Decke war ihm bis
                                        unter das Kinn gezogen; das sonst so weiche, braune Haar,
                                        jetzt stumpf und verschwitzt, lag wie ein Fächer auf dem

                                        Kissen ausgebreitet.
                                        Anna Bruckner mochte es nicht, wenn ihre Tochter Gaby so
                                        auf dem Rücken lag. Sie sah so, ... nun, sie sah so tot aus.
                                        Als hätte man sie hier aufgebahrt, hier in ihrem Schlafzimmer,
                                        an dessen Wänden noch Pferdeposter neben Justin Bieber

                                        und im Fernsehen 'gecastete' Boy-bands hingen. Gaby lag
                                        still und ruhig da, und für einen entsetzlichen Augenblick lang
                                        glaubte Anna, daß ihre Tochter tatsächlich gestorben war,

                                        einfach wie eine Kerze verlöscht, während sie hier neben
                                        ihrem Bett saß und sich fragte, wie das bloß alles hatte
                                        passieren können.
                                        Anna beugte sich über ihre Tochter, horchte zitternd auf ein
                                        Lebenszeichen. Doch dann atmete Gaby ein, tief, tief ein, und

                                        Anna vermeinte ein leises Stöhnen zu hören, so als bereite
                                        das Luftholen ihrer Tochter Schmerzen. Gabys Nasenflügel
                                        bebten leise, und Anna konnte feine Blutkapillaren durch die

                                        blasse Haut schimmern sehen.
                                        Sie lehnte sich wieder zurück und warf einen Blick durch die
                                        Glastür, die auf einen kleinen Balkon führte. Es war immer
                                        noch sehr heiß draußen, und der Arzt hatte empfohlen, ein
                                        Fenster oder lieber gleich die Balkontür zu öffnen: Es konnte

                                        im Zimmer ohnehin kaum heißer werden, als es schon war,
                                        und die frische Luft würde dem Kind gut tun. Aber aus
                                        Gründen, die sie selbst noch nicht verstand, hatte Anna sich

                                        geweigert, die schöne Tür mit ihren trapezförmigen
                                        Glasscheiben aufzumachen. Vielleicht wollte sie nicht, daß
                                        die schwüle, heiße Abendluft eindrang. Vielleicht wollte sie
                                        nicht, daß die Gelsen Gaby traktierten. Sie wußte es nicht. Es
                                        schien nur ... besser zu sein. Zumindest im Moment.

                                        Der Vollmond war aufgegangen und schickte seine tastenden
                                        Strahlen ins Zimmer. Gabys Augenlider flatterten und
                                        öffneten sich dann langsam. Sie blickte erstaunt umher, sah

                                        die Infusionsflaschen und versuchte sich zu bewegen.
                                        „Sssscht“, flüsterte ihre Mutter. „Beweg’ dich nicht. Es ist alles
                                        in Ordnung.“
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